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LGBT-FREE ZONES in Polen: Sticker einer Weltanschauung

 

Im Februar 2019, unterzeichnet der liberale Warschauer Bürgermeister Rafał Trzaskowski ein Bekenntnispapier. Zwei Jahre später hat sich fast ein Drittel der polnischen Städte und Gemeinden zu LGBT-freien oder auch LGBT-ideologiefreien Zonen erklärt. Was ist passiert? Wie kam es zu diesem unsäglichen Label, diesem nationalstolzen Aufkleber, der eher nach 1933 als 2021 klingt?

Also zuerst: Was für eine Abscheulichkeit hat Rafał Trzaskowski da am 18. Februar 2019 mit seiner Unterschrift erklärt, die diese großbrandartige Hetze gegen queeres Leben rechtfertigte? Machen wir ein Quiz! Er unterstützte mit seiner Unterschrift…

  1. … die Ausrottung heterosexueller Cis-Personen durch LGBTIQ*-Mitglieder?
  2. … eine 100 Prozent Quote von LGBTIQ*-Menschen in Führungspositionen?
  3. … ein Alleinrecht von LGBTIQ*’s auf Streamingdienste?
  4. …Inklusion und Nichtdiskriminierung von LGBTIQ* im Zivil- und Arbeitsleben, also das absolute Minimum.

(Tipp: Es ist die 4)

Die sogenannte „Warschauer LGBT-Erklärung“, die die Inklusion und Nichtdiskriminierung von LGBTIQ* fordert, stammt von der queeren Interessensgemeinschaft Miłość Nie Wyklucza (Liebe grenzt nicht aus). Die Mitglieder feiern die Unterschrift noch als „historischen Erfolg“. Kurz darauf folgt der Hass. Das, leider, nicht gänzlich überraschend für das konservativ-katholische Polen, aber doch auffällig in seiner Heftigkeit. Es gibt Proteste von christlichen und konservativen Organisationen, auch die konservative PiS-Regierung (Prawo i Sprawiedliwość, auf deutsch Recht und Gerechtigkeit) ist medienwirksam wütend („Angriff auf Familie und Kinder“). Online beginnt ein Shitstorm gegen Trzaskowski. Es wird so heftig, dass Liebe grenzt nicht aus ihre Community dazu aufruft, ein Unterstützerschreiben zu teilen.

Dass sich Rafał Trzaskowski nur wenige Wochen später, inmitten dieser Aufstände, zu etwas bekennen wird, das noch explosiver ist, ahnt noch niemand.

Realpolitisch sind diese Vorfälle für die PiS-Regierung ein Grund zur Freude. Die Migration verliert zu der Zeit in Polen als Feindbild stark an Wirkung, die Vorfälle helfen, ein anderes Feindbild zu verfestigen: die LGBTIQ*-Community. Diese wird geframed als eine vom Westen importierte, üble, staatsfeindliche Ideologie. Feinstes Kriegsvokabular, das eine völkisch-nationale Weltsicht stärkt. Polen kopiert hiermit bilderbuchhaft den russischen Queerhass für politische Zwecke. Kräftige und geradezu ekstatische Unterstützung erfährt die Regierung von der katholischen Kirche, die auch 2020 auf einer Bischofskonferenz Homosexualität als heilbare Krankheit deklariert, und die in Polen noch großen Einfluss genießt, Kirche und Staat sind nicht getrennt.

Hier ein kleiner Geschmack der rhetorischen Hetze der PiS-Regierung, und der Kirche, im Jahr der Vorfälle:

  • April, 2019: Der PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski bezeichnet im zentralpolnischen Wloclawek bei einer Konferenz mit dem Titel "Pole sein - Ehre und Pflicht“ Homosexuelle als „Bedrohung“. Bedrohung für „die polnische Identität, die Nation, deren Existenz und damit auch den polnischen Staat“. Weiter sagt er: "Diese Ideologien, diese Philosophien, all das ist importiert“.
  • August, 2019: Der Krakauer Bischof Marek Jedraszewski betont in einer Predigt zum Gedenken an den Warschauer Aufstand, dass die „LGBT-Ideologie“ wie eine „Regenbogenpest“ sei. Die neue Bedrohung sei "nicht marxistisch, bolschewistisch, sondern aus dem gleichen Geist geboren: neomarxistisch“, sie sei "nicht rot, sondern Regenbogen“. Diese Worte wählte er nicht einmal zwei Wochen nachdem es brutale Übergriffe beim ersten CSD in der polnischen Stadt Bialystok gab.

Kurze Anmerkung: In der polnischen Anti-Queer-Propaganda wird nicht auf begriffliche Genauigkeit geachtet. Was unter Regenbogen verstanden wird, scheint subjektiv und situationsgebunden. Gender(theorie) wird nicht unterschieden von sexueller Orientierung. Homosexuell dient zeitweise als Überbegriff für die gesamte LGBTIQ*-Community. Genau wie LGBT (hier wird auch nur mit diesen vier Buchstaben gearbeitet) zeitweise als Überbegriff für Homosexuelle genutzt zu werden scheint. (Ein Fokus liegt auf Homosexualität, anderem queerem Leben wird die Existenz eher gänzlich abgesprochen.) Die rhetorische Unklarheit liegt an gebieterischer Ignoranz und Verachtung. Außerdem dient es zur Vermischung, Verwischung und somit Vereinheitlichung einer Masse, die eine homogene Ideologie vertreten soll, und somit homogen gefürchtet und gehasst werden kann.

Statt sich den medialen (und nicht-medialen) Aggressionen zu beugen, die auf Trzaskowskis Unterschrift folgen, wagt sich Warschaus Bürgermeister, scheinbar lebensmüde, noch weiter in die Offensive. Mitten in der aufgeheizten Stimmung, veröffentlicht er ein nächstes Bekenntnispapier aus eigener Feder. Nicht irgendeines. In diesem Dokument schließt er sich den Sexualaufklärungsstandards der Weltgesundheitsorganisation (WHO) an. Diese beinhalten auch: LGBTIQ*-Themen im Sexualkundeunterricht. Schon der heteronormative Sexualkundeunterricht ist in Polen stark umstritten, die Meinung ist weit verbreitet, dass er die Frühsexualisierung von Kindern fördere. Es ist also hochpolarisierend, sich überhaupt für Sexualaufklärung an polnischen Schulen auszusprechen, aber: LGBTIQ*-Sex im Unterricht? Die Kirche, die Regierung und Teile der Bevölkerung sind außer sich.

 

Verschiedene Städte und Gemeinde wollen nun nicht mehr zusehen und beginnen, politische Schritte einzuleiten, um gegen die „Warschauer LGBT-Erklärung“ vorzugehen. Sie wollen den Regenbogenhass manifestieren; auch wenn sie ihn nicht direkt institutionalisieren können: juristisch ist ein Durchsetzen von „LGBT-ideologiefreien Zonen“ nicht möglich. LGBTIQ*-Personen dürfen nicht legal aus diesen Gebieten vertrieben werden.

Die Parlamente können trotzdem gar nicht schnell genug handeln.

Ende März 2019, verabschiedet die südostpolnische Stadt Świdnik als erstes polnisches Gebiet eine Resolution gegen die „LGBT-Ideologie“. Weitere Städte und Dörfer folgen prompt mit eigenen oder abgekupferten Resolutionen.

 

Ende April, 2019, verabschiedet der Landkreis Łowicz (Woiwodschaft Lodz) die erste Kommunale Charta der Familienrechte.
Es handelt sich also um zwei Dokumente, die als Maßnahmen gegen die „LGBT*-Ideologie“ eingesetzt werden: Resolutionen und eine Charta.
Die Resolutionen (politischen Beschlüsse) stehen im Plural, sie unterscheiden sich also von Ort zu Ort. Die meisten orientieren sich am Beschluss von Świdnik, oder haben zumindest eine ähnliche Kernaussage: Wir müssen unsere Gesellschaft vor der LGBT*-Ideologie beschützen, ganz wichtig dabei: die Ehe und unsere Kinder in den Schulen. Einige Resolutionen sind jedoch auch milder formuliert, dort steht dann beispielsweise, dass Minderheiten respektiert werden müssen, trotzdem aber polnische Werte wichtiger sind.

Die kommunale Charta der Familienrechte hingegen ist ein Dokument. Es wurde von der ultrakonservativen Organisation Ordo luris im März 2019 verfasst. Darin wird auf das polnische Gesetz verwiesen, indem steht, dass die Ehe eine Partnerschaft zwischen Mann und Frau ist, das Familienleben vom Staat geschützt wird, und das Kind vor Demoralisierung geschützt werden soll.

Auch hier gibt es also eine klare Fixierung auf gleichgeschlechtliche Ehe und LGBTIQ*-Schulinhalte.

Während immer mehr Gebiete eine Resolution oder Charta verabschieden, sitzen Reporter des rechtskonservativen Magazins Gazeta Polska bereits an einer eigenen Manifestierung, einer Kampagne gegen LGBTIQ*-Leben. Ende Juli liegt schließlich etwas einer Ausgabe bei, das um die Welt geht.
Man muss wissen, die Gazeta Polska ist eine der wichtigsten Stützen der PiS-Partei. Das Magazin hat in den letzten Jahren eine Menge an Leser*innen verloren, die Auflagenzahlen sinken stetig. Auch dem Magazin kann also sorgenlos eine strategische Feinbildschaffung nach PiS-Vorbild unterstellt werden.
Zurück zu der Beilage. Es sind die Sticker, die wir alle kennen. Die so aussehen: Eine Regenbogenflagge, von zwei dicken Balken durchgestrichen, darum wie zwei Girlanden in schwarzen Buchstaben „LGBT-freie Zone“ - „LGBT-freie Zone“. Es sind diese ganz realen Sticker, die auf das viel abstraktere, metaphorischere, und gefährlichere Label verweisen, es weiter verbreiten und in die Köpfe kleben. Es ist ein Label einer katholisch-konservativ-nationalistischen Weltanschauung, die alles außerhalb radikaler Heteronormativität ablehnt. Bei den Stickern geht es also um eine Symbolwirkung, genau wie es bei den Resolutionen und der Charta um eine Symbolwirkung geht.

Die Gazeta reagiert auf Kritik verschiedener Diplomaten, der Opposition und Teilen der Gesellschaft mit einer Opferstrategie, der Chefredakteur stellte sich selbst als Opfer von LGBTIQ*’s und LGBTIQ*-freundlichen Menschen dar: „Was hier geschieht, ist der beste Beweis dafür, dass LGBT eine totalitäre Ideologie ist“.

Die queere Interessensgemeinschaft Liebe grenzt nicht aus ist von der Kampagne erschüttert: "Wir haben keine Worte, aber wir können nicht schweigen. Gleichgültigkeit gegenüber Hass ist Zustimmung zu Gewalt“. Zeitweise will das Warschauer Bezirksgericht die Verteilung der Sticker sogar beenden, zumindest bis zum Abschluss eines Gerichtsverfahrens. Gazetas Herausgeber bezeichnet das Urteil nur als „gefälschte Nachrichten“ und „Zensur“, und betont, dass die Zeitung weiterhin Aufkleber verteilen wird. Auf dem neuen Abziehbild heißt es nun: „LGBT-ideologiefreie Zone“, es ist ein Sticker, den sich zeitgleich immer mehr polnische Gebiete auf die Fahne kleben.

Echte LGBT-free Zones sind in Polen vielleicht juristisch nicht durchsetzbar, LGBTIQ*’s dürfen nicht gesetzlich mit Feuer und Mistgabel aus den Gebieten getrieben werden, nur weil sich das Gebiet als LGBT-freie- oder auch LGBT-ideologiefreie Zone bezeichnet; trotzdem, und darum geht es, legitimiert das Label symbolisch eine Feuer-Mistgabel-Hetze, führt zu schamloser Einschüchterung über Gewalt, bis letztendlich Vertreibung. Symbolwirkungen sollten nicht unterschätzt werden, sie können in realen Gewalttaten und sogar Diktaturen enden. Auch wenn zwei Drittel der regionalen Regierungen Polens eine Resolution oder die Charta abgelehnt haben, oder erst gar nicht in Betracht zogen, das darf klar nicht vergessen werden, hat es doch fast ein Drittel getan, und damit ist fast ein Drittel eines europäischen Landes, heute, 2021, mit einem Sticker beklebt, der LGBTIQ*-Menschen klar stigmatisiert, ausgegrenzt, und jegliche Art von Hass und Gewalt gegen sie fördert, wenn nicht sogar fordert, und damit nicht zuletzt auch andere Länder inspiriert und infiziert. Das ist untragbar. Dagegen müssen wir kämpfen.

Enough is Enough Team